100. Geburtstag Sophie Scholl, 25. Oktober
Am 9. Mai 2021 wurde Sophie Scholl 100 Jahre alt - oder wäre es zumindest geworden, wenn sie nicht, wie uns allen bekannt ist, von den Nationalsozialisten hingerichtet worden wäre. Die Gedenkfeier zu Sophie Scholl's Geburtstag im Saal unseres Geschwister Scholl-Heims.
Franziska Blank
Scholli

Am 9. Mai 2021 wurde Sophie Scholl 100 Jahre alt – oder wäre es zumindest geworden, wenn sie nicht, wie uns allen bekannt ist, von den Nationalsozialisten hingerichtet worden wäre. Mit nur einundzwanzig Jahren starb sie und schaffte es doch nach ihrem Tod in unseren Erinnerungen fortzuleben und ein Mahnzeichen zu setzen – ein Zeichen für Gerechtigkeit, den Mut sich des eigenen Verstandes zu bedienen und auch ein Zeichen dafür aufzustehen und zu kämpfen und nicht untätig zusehen, wie ein ungerechtes und brutales System die Überhand gewinnt. Eigentlich hätten wir gerne am 9. Mai hier die Gedenkfeier zu Sophies Geburtstag abgehalten, doch dies war aufgrund der derzeitigen Covid-Lage nicht möglich. Stattdessen fand sie am Montag, den 25. Oktober im Saal unseres Geschwister Scholl-Heims statt und es war somit wieder möglich externe Gäste einzuladen, die sich auch einigermaßen zahlreich einfanden. Mit einer musikalischen Einleitung von Blerta mit der Gitarre und Daniel mit Geige wurde das Event eröffnet, im Publikum befand sich eine schöne Mischung aus älteren Menschen und jungen Student/innen; auch ein Kleinkind war dabei. Es spricht wohl für unser Haus, dass sich Menschen aller Altersgruppen zusammenfanden, um sich zurückzuerinnern, aber gleichzeitig auch einen nachdenklichen Blick in die Gegenwart und vor allem in die Zukunft zu werfen. Ich bin mir sicher, das hätte Sophie gefallen. Dann tritt Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der Stiftung Weiße Rose, zum Sprecherpult und sagt ein paar Worte zur Begrüßung und zum Dank, bevor der Autor Hermann Vinke ihren Platz übernimmt und über sein Buch „Das kurze Leben der Sophie Scholl“ spricht.

Es geht um dessen Entstehungsgeschichte, wie Vinke mit verschiedensten Menschen aus Sophies Leben Kontakt aufnahm und die Gespräche und Gedanken collagen-artig in einem Buch zusammenfasst. „Das kurze Leben der Sophie Scholl“ ist nicht nur deshalb so interessant, weil es einen einzigartigen Blick auf das Leben einer talentierten, klugen und entschlossenen jungen Frau wirft, sondern auch, weil es das erste ist, das dieser wichtigen Persönlichkeit erst die Aufmerksamkeit schenkt, die ihr gebührt. Heute ist Sophie eine Ikone: Eine der zwei Namensgeber/innen unseres Wohnheims und auch des Platzes vor der LMU sowie Verkörperung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Damals, in den 1970ern stand sie allerdings im Schatten ihres Bruders Hans und sie wurde übersehen, wie das gerne mit Frauen so passierte. Zum Glück entschloss sich Vinke dem Aufruf, ein Buch über sie für eine Reihe über Mädchen und Frauen zu schreiben, nachzukommen. Und so steht er jetzt hier in unserem Saal und erzählt über Gespräche mit Fritz und Elisabeth Hartnagel, Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher, Franz Müller und Robert Zoske sowie von den Schwierigkeiten das Buch zu veröffentlichen und mit den verschiedenen, teilweise entgegenstrebenden Meinungen umzugehen. Er redet über die Vielfältigkeit Sophie Scholls, wie groß die Spannweite ihrer Interessen war, die von Malen und Musizieren über Literatur zu einer großen Liebe zur Natur reichten. Zudem waren in ihr ein außerordentlich klarer Verstand und ein großes Mitgefühl für andere vereint. Gerade aufgrund dieser großen Empathie war es laut Fritz und Elisabeth umso bemerkenswerter, was für eine harte Logik, welche Entschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit Sophie im Widerstandskampf an den Tag legte. So war sie beispielsweise der Meinung, dass jede Kleiderspende an die deutschen Soldaten den Krieg nur verlängern würde. Nur eine militärische Niederlage Hitlers würde den Krieg beenden. Selbstverständlich litten die deutschen Soldaten an der Front unter grausamen Bedingungen, doch Sophie dachte hier rational-taktisch. „Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben“ ist passenderweise eines der Zitate, die die Kulturreferentinnen Lina und Blerta später verteilen, um den Anwesenden die Möglichkeit zu geben sich ihre eigenen Gedanken über Sophie und ihr Tun zu machen. Zwölf verschiedene Zitate bereiteten sie vor, welche zuvor schon an alle Bewohner/innen des Schollheims verteilt wurden und nun auch hier, auf der Rückseite soll man formulieren, wie gewisse Aussagen heute zu einem sprechen. Denn das ist eine wichtige Frage: Wofür steht Sophie Scholl heute?

Sie stand und steht für Freiheitsleben Deutschlands, für das wehrhafte Deutschland, das es heute gibt, aber auch damals, auch wenn es zu schwach war um die NS zeit zu beenden. Sophie war Motor und Herz der weißen Rose und vermutlich die entschlossenste Widerstandskämpferin unter den Studenten. Besonders aus dem Blickpunkt des gemütlichen Sessels der Gegenwart aus betrachtet sind dies große Worte: Widerstand, Freiheit, Demokratie. Wie Sophie in der aktuellen Lage Deutschlands agieren würde oder was ihr Standpunkt wäre, kann natürlich nur erraten werden. Dennoch sind viele der Botschaften, für die sie einstand, höchst aktuell. Die Klimakrise und die Zerstörung des Planeten. Die müde gewordenen Institutionen, die Menschen nicht mehr erreichen, der sich manifestierende Wachstum der Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Gesellschaftspolitische Bruchstellen, die nicht nur, aber vor allem im östlichen Deutschland einen Rechtsrutsch ermöglichen. Die Bedrohung der Demokratie. Denn trotz all der Reden und all der Denkmäler, trotz aller Erinnerung scheint sich der Rechtsextremismus zu verfestigen, er hat sich entschlossen zu bleiben. Dies ist unter anderem sichtbar an Reden, die sich in Gewalt verwandeln, (verdecktem) Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit. „Die Zerbrechlichkeit der Freiheit ist die einfachste und tiefste Lehre aus meinem Leben und meiner Arbeit“ schreibt der Historiker Fritz Stern und bestätigt damit, was wir alle bereits wissen: Für eine starke Demokratie muss man kämpfen. Doch während die Anhänger der Weißen Rose gegen eine Übermacht kämpften, haben wir heute alle Instrumente um die Diktatur zu bekämpfen . Nutzen wir sie. Besonders wir, da wir uns als Schollis bezeichnen und damit also Sophie und Hans in unserem Namen tragen, haben diese Aufgabe. Auch Peter von Rüden, der nach Vinke spricht, bezeichnet das Schollheim als einen Ort der Erinnerungskultur, an dem wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. Er ruft dazu auf, die Geschichte wieder und wieder zu erzählen und sie dann noch mehr erzählen, denn man darf nie vergessen. Es wird immer wichtiger, da jetzt auch die Zeitzeugen nicht mehr hier sind. Doch er blickt auch in die Zukunft, sagt, es beginnt auch ein neues Kapitel der Erinnerungskultur. „Machen wir weiter, aber besser.“ Denn wir müssen ja schließlich in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Deshalb ist es auch für die ganze Veranstaltung sehr schön und passend, dass ein Kleinkind in diesem Raum anwesend ist, das die Reden der drei Sprechenden in jungen Wörtern der Unschuld kommentiert.

Tiago Tannenbaum spielt Gitarre und singt, während alle (alt und jung) ihre Gedanken, Gefühle und Überlegungen in Worte fassen; danach werden alle Zettel an eine Pinnwand geheftet, wo sie jede/r lesen können. Es gibt der Veranstaltung zum Abschluss ein melancholisches Gefühl, die Musik und das Nachdenken über Freiheit, die Frage was man besser tun kann und was Sophie heute noch für uns bedeutet. Dabei gibt sie uns eigentlich schon die Antwort für diese schwere Aufgabe, indem sie uns auffordert in uns hineinzufühlen und den inneren moralischen Kompass zu fühlen:

“Wir haben alle Maßstäbe in uns selbst, nur werden sie zu wenig gesucht; vielleicht auch weil sie die härtesten Maßstäbe sind.”

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