Schnee schwebt sachte gen Boden, die eisigen Zähne des Februars schnappen nach unseren Zehen. Mit weißen Rosen in den Händen und unseren Namensgebern im Sinn stapfen wir zusammen mit Prof. Dr. Peter von Rüden am Schollheim los. Wir fahren mit der U2 nach Giesing, um dort anschließend mit dem Bus weiter Richtung Schwanseestraße fahren. Ein paar hundert Meter weiter betreten wir schon den Friedhof am Perlacher Forst, wo uns ein Lageplan in Richtung Schollgrab lotst.
Das Knirschen unter unseren Füßen begleitet uns auf dem Weg dorthin, wo wir unter anderem bereits viele weiße Rosen und den vom Schollheim platzierten Kranz vorfinden. Manche unterhalten sich andächtig über das Leben der Geschwister Scholl und der anderen Mitglieder der Weißen Rose; andere schwelgen in der friedvollen Stimmung. Einzeln tritt jeder nach vorne, um seine Rose vorsichtig in den kalten, weißen Teppich aus Flocken und Blüten einzufli- cken.
Einige Schweigeminuten vergehen; die Szene erscheint fast wie festgefroren – nur die bedächtig rieselnden Schneeflocken, der leichte Wind und die Tränen, die hier und dort fließen, durchbrechen die Starre. Was wir empfinden, ist schwer in Worte zu fassen: Die Melancholie des Moments ist nahezu überwältigend; das einkehrende, ehrfürchtige Schweigen vermag mehr zu sa- gen als tausend Worte. Was uns in diesem Augenblick kristallklar wird: Der Geschwister Scholl zu gedenken heißt mehr, als sie in warmer und heldenhafter Erinnerung zu behalten – wir müssen ihr Feuer weitertragen und mit der Welt teilen; es handelt sich keineswegs um eine stille, verfrorene Angelegenheit.
Am Donnerstag, den 22. Februar 2018 jährte sich der Todestag der Geschwister Scholl zum 75. mal. Beide wurden 1943, nur wenige Tage nach ihrer Verhaftung, von den Nationalsozialisten hingerichtet. Das engagierte Kulturreferat nahm den Todestag zum Anlass, einen Gedenktag für die Geschwister Scholl und den Widerstand der Wei- ßen Rose zu organisieren.
Am Nachmittag suchte eine kleine Scholli-Delegation zusammen mit Prof. Dr. Peter von Rüden das Grab am Friedhof im Perlacher Forst auf. Einige Tage zuvor, am Jahrestag der Verhaftung, hatte das Kulturreferat schon Kopien des sechsten Flugblat- tes der Weißen Rose im Schollheim verteilt.
Doch jetzt zum eigentlichen Gedenkabend:
Ein kurzes, selbst gedrehtes Video, das zu Boden gleitende Flugblätter im Lichthof der LMU zeigt, stimmt die zahlreich erschienen Schollis auf den rund zweistündigen Gedenkabend ein. Dann schallt es plötzlich:
„Kommilitoninnen! Kommilitonen! Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad.“
Im stockdunklen Saal wird das sechste Flugblatt der Weißen Rose verlesen.
Anschließend werden die wichtigsten Mitglieder der Weißen Rose kurz vorgestellt: Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und Prof. Kurt Huber. Genau wie bei der Exkursion zur DenkStätte betonen die Organisatoren auch hier völlig zurecht die Bedeutung aller Wider- standskämpfer der Weißen Rose: Gerade weil in den öffentlichen Diskursen oft nur an Sophie Scholl und ihrem Bruder erinnert wird, ist es wichtig, auch die anderen Mitglieder in gleicher Weise zu würdigen.
Florin spielt auf dem Cello die Sarabande der Suite No. 2 von J.S. Bach : Ein trauriges, sehr getragen wie- dergegebenes Stück, das die andächtige Stimmung im Saal perfekt unterstreicht.
Weiter geht es mit der Verlesung der Erinnerungen von Robert Mohr, dem Gestapo-Offizier, der Sophie Scholl während ihrer kurzen Haftzeit verhörte. Sein nachträglich verfasster Bericht über die Geschehnis- se im Februar 1943 betont vor allem die Charakter- stärke der Sophie Scholl, die einen angeblichen Versuch Mohrs, ihr das Leben zu retten, ausgeschlagen haben soll und stattdessen aus voller Überzeugung zu ihren Taten steht.
Dass der Einsatz der Weißen Rose nicht vergebens war, wird uns noch einmal bewusst, als wir Thomas Manns Radioansprache im BBC vorgelesen bekommen: Im Ausland wurden die Studentenproteste wahrgenommen und waren für viele im Exil lebende Deutsche ein Zeichen der Hoffnung, dass es noch ein an- deres, ein nicht-nationalsozialistisches Deutschland geben könnte. Außerdem gelangten die Flugblätter der Weißen Rose ins Ausland und wurden schließlich von alliierten Bom- bern tausendfach über deut- schen Städten abgeworfen.
Marinus Kreidt, einer der zahlreichen, vom Kulturreferat engagierten „Externen“, sorgt für die nächste Musikeinlage: Auf der Violine, begleitet von aufgezeichneten Klavierklängen, gibt er das aus dem gleichnami- gen Film sehr bekannte Musikstück „Schindlers Liste“ wieder. Ebenfalls ein emotional berührendes, sehr schönes Vorspiel.
Nach einer Schweigeminute für die hingerichteten Widerstandskämpfer verliest Kultureferent Flo eine Botschaft von Prof. Dr. Dr. Borelli, dem Vorsitzenden des Vereins. Herr Borelli, selbst Zeitzeuge des „Dritten Reiches“, schildert in seinem Bericht, wie ungewöhnlich und vor allem gefährlich Widerstand gegen die Nationalsozialisten war.
Danach führen Flo und Marinus Kreidt in einem künstlerischen Beitrag eine Interpretation der „Todesfuge“ von Paul Celan auf. Violinklänge ergänzen die poetischen Zeilen: „Schwarze Milch der Frühe…“
Im letzten Teil des Abends kommen durch Lesun- gen weitere „Zeitzeugen“ des Nationalsozialismus zu Wort: Ein kurzer Ausschnitt aus Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ bringt etwas Heiterkeit: Es ist einfach zu komisch, was die Schüler in dem Kinderroman so alles erleben. Gleichzeitig weist aber auch dieser Beitrag, und mehr noch die kurzen Passagen der Notabene von 1945 (ebenfalls von Er- ich Kästner) darauf hin, dass eine freie Meinungs- äußerung während des Nationalsozialismus kaum möglich war. Gerade an Kästners subtilem „pädagogischen Zeigefinger“ wird deutlich, dass sämtliches Gedankengut, das Kritik an den Nationalsozialisten äußerte, radikal verboten wurde. Eine Brücke vom historischen Widerstand zum heutigen Leben aller Schollis schlägt schließlich Prof. Dr. Peter von Rüden. In seinem Vortrag zur Vereinsgründung des Geschwister-Scholl-Heims nennt er eine Vielzahl an Gründungsmitgliedern, die während des Nationalsozialismus im Widerstand aktiv waren und in der Nachkriegszeit zu den führenden demokratischen Persönlichkeiten gehörten: Die berühmtesten Namen sind hier sicherlich der Bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner und der spätere Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel.
Den Schlusspunkt des Abends setzt der neu ins Leben gerufene Scholl-Chor. Bei „Hear my prayer“ zeigt sich das Gesangstalent einiger Schollis, die nach nur drei Proben einen sehr gelungenen ersten Auftritt hinlegen. Es wäre schön, wenn weitere Darbietungen von euch folgen!
Nach den vielen Beiträgen können sich die anwe- senden Schollis, Ehemalige und Gäste am Buffet mit Speis und Trank stärken.
Vielen Dank an das Kulturreferat und alle Mitwirkenden für einen sehr gelungenen Abend! Die ganze Veranstaltung bot ein interessantes und vielfältiges Programm und hat zugleich den Ton, der für ein solches Gedenken angemessen ist, perfekt getroffen. Da es vielen Anwesenden Schollis sehr gut gefallen hat, ist zu überlegen, ob man solche Gedenkveranstaltungen – zum Beispiel als Bestandteil des Schollheimtages – öfters durchführen könnte.