Wieso es manchmal die beste Entscheidung ist, alle seine Pläne über den Haufen zu schmeißen
Servus, ich heiße Bekkah, bin durch und durch Scholli und werde euch in den nächsten Blogeinträgen von meinen Abenteuern im Auslandssemester erzählen:
Das letzte knappe halbe Jahr habe ich nämlich weit im Norden bei den Elchen und Zimtschnecken in Schweden verbracht. Dabei habe ich absolut faszinierende Dinge erlebt und gesehen sowie viele wirklich tolle, zutiefst herzliche Menschen kennengelernt. Dass das Schollheim meine Auslandserfahrung schon weit im Voraus geprägt hat, ist klar: Die Werte Demokratie, Frieden, Freiheit, Rechtsstaat und Völkerverständigung hat man als Scholli quasi dauerhaft im Handgepäck; man trägt sie täglich in die Welt hinaus. Wie ich das Schollheim in meiner Funktion als Public-Relations-Referentin im Ausland vertreten durfte und welche neuen Anregungen ich mitgebracht habe, wird – so hoffe ich – im Weiteren deutlich.
Doch sich ins große Ungewisse hinauszuwagen bedarf einiger Planung: Auch wenn es sich zweifelsohne hinterher so was von lohnt, gibt es im Vorfeld vieles zu klären. Gerade wenn man selber kein EU-Bürger ist, muss man vorher nach guter deutscher Bürokratie zusehen, dass man Formular A mit Stempel B und Unterschriften von Ämtern C und D ja auch fristgerecht einreicht… Noch komplizierter wird es, wenn man sich (wie ich) auf einen fachfremden Erasmus-Platz bewerben möchte. Vielleicht fange ich aber mit meiner Erzählung vor einigen Semestern an, um zu verdeutlichen wie selbst die besten Pläne und Vorsätze manchmal völlig aus der Bahn geschmissen werden können.
Das Auslandssemester: Wohin soll’s gehen?
Jung und naiv wie ich war, dachte ich, dass sich ein Auslandssemester zu organisieren wohl kein Hexenwerk sein dürfte – vorausgesetzt, man setzt sich rechtzeitig mit allen nötigen Unterlagen und Anlaufstellen auseinander! Genau darum schon weit im Voraus Gedanken gemacht, wo es denn hingehen könnte und welche Sprachkenntnisse dafür erforderlich sein könnten. In der Schule hatte ich Französisch im bilingualen Zweig (mit passendem Sprachzertifikat) gehabt, sodass ich problemlos nach Frankreich hätte gehen können. Da ich aber zu meiner Schulzeit schon so häufig dort gewesen war, war ich reif für eine neue Herausforderung. (Dass ich mich gegen Frankreich entschieden habe, hat sich im Nachhinein sowieso bewährt – so konnte ich die heiklen Demonstrationen, Aufstände und Straßenkämpfe statt aus erster Hand aus einem Sicherheitsabstand von einigen tausend Kilometern mitverfolgen.)
Gut… Aber wenn nicht Französisch, was dann? Theoretisch kann ich auch einigermaßen Spanisch (was sich hinterher als praktisch erwiesen hat, aber mehr dazu ein Andermal); Englisch wurde mir als Amerikanerin quasi in die Wiege gelegt. Letzteres ist zwar die Weltsprache, nur gibt es leider wenige Universitäten, die ausreichend Kurse in dieser vermeintlich so geläufigen Sprache anbieten, dass man dort halbwegs vernünftig studieren könnte, ohne die Landessprache recht flüssig zu beherrschen. Zum Glück kommen einem die skandinavischen Länder da sehr entgegen! Ein rascher Blick ins Erasmus-Portal hat mir verraten, dass Uppsala (Schweden) und Helsinki (Finnland) die einzigen Partneruniversitäten meines Departments sind, die im hohen Norden liegen.
Schon seit meiner Kindheit hatte ich immer für Skandinavien geschwärmt, nicht zuletzt wegen meiner Vorfahren, von denen sehr viele aus Schweden und Finnland stammen. Gerade das sprach meiner Meinung nach gegen Uppsala: Noch heute habe ich dort lebende Verwandtschaft, die meine Familie im letzten Jahrzehnt durch genealogische Forschung ausfindig gemacht hat. Uppsala fühlte sich einfach nicht nach der richtigen Entscheidung an. So war mein erster Gedanke: „Alles klar, ich gehe nach Finnland!“ Der zweite dann: „Es gibt nur einen Erasmus-Platz dort und so wenige Unis, wo man mit Englisch durchkommt… Was mache ich, wenn jemand anderes den Platz bekommt?!“ Darauf dann die Schlussfolgerung: „Ich werde Finnisch lernen, um jegliche Konkurrenz ausstechen zu können!“
Ich lerne Finnisch!
Dass Finnisch sehr schwer zu lernen ist, ist weitläufig bekannt. Dass man wirklich völlig übergeschnappt sein muss, um als Ausländer überhaupt den Versuch anzustellen, diese glorreich komplexe Sprache zu verstehen, geschweige denn zu sprechen, haben mir zwei Finnen kopfschüttelnd frei gestanden. Trotzdem bin ich tapfer dienstags und donnerstags im Morgengrauen, noch vor all meinen anderen Vorlesungen, in meinen Finnischkurs gestapft… Als Einzige, die nicht im Haupt- oder zumindest Nebenfach Finnougristik / Finnisch studiert hat, wurde ich auch dort als irre empfunden. Zwei Semester lang habe ich diesen frühmorgendlichen Wahn durchgezogen und nebenher meine Wertschätzung sowohl für die finnische Kultur / Sprache als auch für Grammatik im Allgemeinen unendlich vertieft.
Mit diesen neuen Einsichten machte ich mich daran, das Erasmus-Online-Formular auszufüllen. In der Drop-Down-Liste entdeckte ich, dass es doch potenziell mehr Möglichkeiten gäbe, ein Semester in den nordischen Ländern zu verbringen als erwartet: Unser Nachbardepartment an der gleichen Fakultät hat nämlich einen Erasmus-Vertrag mit Umeå in Schweden. Es schoss mir urplötzlich in den Kopf: „Geh nach Umeå!“ Völlig absurd, der Auslandsaufenthalt in Finnland war doch schon perfekt vorbereitet! Und doch war an Umeå irgendwas dran. Eine kurze Google-Suche hat ergeben, dass diese gänzlich unerwartete Möglichkeit vielleicht doch interessant sein könnte… Hatte ich nicht schon immer mal richtig weit in den Norden gewollt? Also so richtig, richtig weit? Kurzentschlossen hab ich das Abschicken der Anmeldung um ein paar Tage aufgeschoben (was sonst gar nicht meine Art ist) und mich eingehend über (Nord-)Nordschweden informiert.
Oder doch lieber Schweden?
Da keiner mir so genau sagen konnte, wie / ob ich wirklich eine Chance hätte, den Platz in Umeå zu bekommen, bevor das „normale“ Bewerbungsverfahren nicht schon durch war, hab ich auf gut Glück eine lebensverändernde Entscheidung getroffen: Erstwahl Umeå, mit Helsinki als Zweitwahl. Ohne wirklich genau sagen zu können warum, wusste ich einfach, dass es so passte. Relativ bald kam schon die Zusage für Helsinki, und weil die erste Bewerbungsrunde noch nicht abgeschlossen war, habe ich in dem Gedanken provisorisch zugesagt, Umeå würde eventuell doch noch klappen. (Ich war, wie es sich herausstellte, übrigens auch die einzige Bewerberin auf den Platz in Finnland gewesen.)
Gerade in diesen paar Wochen Schwebe wurde mir allmählich klar, dass ich wirklich lieber nach Schweden wollte. Es waren eher die kleinen Dinge: Gebrauchte Langlaufskier in gutem Zustand zu einem Schnäppchenpreis zu finden, verstärkten Kontakt zu meiner Cousine in Uppsala zu haben, mein verliehenes Schwedischbuch zurückzubekommen (nachdem ich verdrängt hatte, überhaupt eins zu besitzen). Als der Bescheid endlich eintrudelte, war ich überglücklich – es hatte mir tatsächlich niemand den Platz ausgespannt. Ich würde nach Umeå gehen!
Doch der Hürdenlauf hatte erst begonnen… Weil ich meinen Bescheid erst viel später bekommen hatte als sonst angedacht, hatte ich die Frist, eine Erasmus-gebundene Aufenthaltserlaubnis für Schweden für den Zeitraum zu beantragen, schon verpasst. Zum Glück ließ sich dies nach einigen panischen Anrufen beim schwedischen Migrationsamt und Konsulat auch irgendwie geradebiegen, da ich für die Umstände ja wenig konnte. Die Menschen dort waren genauso verwundert wie ich, dass es auch total skurrile Sonderfälle geben kann, wie etwa eine in Deutschland studierende amerikanische Pharmaziestudentin, die nebenher auch noch einen Master in etwas Ähnlichem macht und in Umeå Arktisökologie und fortgeschrittene organische Chemie belegen will…
Die Kurswahl hatte mir wochenlang Bauchweh bereitet, weil ich mir nicht sicher war, ob ich a) überhaupt die Zulassungsbedingungen dafür erfüllen würde und b) ob man mir auch nur irgendwas davon anrechnen würde. Beim Blick in den Kurskatalog war es, als wäre ich vom Blitz getroffen worden: Als ich entdeckt habe, dass die Uni Umeå eine Außenstelle in Abisko hat, war mir sofort klar, dass ich – komme, was wolle – dahinwollte. Wie genau es dazu kam, erzähle ich euch im nächsten Blogeintrag.
Erkenntnisse
Was habe ich aber summa summarum aus der Vorbereitung aufs Auslandssemester gelernt?
1. Finnisch ist eine schöne Sprache. Da Elbisch zu lernen einem nichts wirklich bringt, kann man stattdessen Finnisch lernen: Finnisch diente dafür als Vorbild und ist immerhin marginal nützlicher. Wer will nicht mit 15 Fällen und oft ellenlangen Wörtern, die zur Hälfte aus Vokalen bestehen, um sich werfen können? Mach’s mit sisu (finnische Entschlossenheit/ Hartnäckigkeit) und das Ganze kommt schon fast einem löyly (Saunaaufguss) höherer Kultur nahe: Schmerzhaft, aber läuternd.
2. Man kann nie zu früh damit anfangen, sich mit verwaltungstechnischem Papierkram auseinanderzusetzen. Am besten ist es sogar, man fängt an, bevor man überhaupt weiß, dass man die Dokumente braucht. Besonders in Deutschland… Kein Wunder, wieso die Heimspieltrikots der Nationalmannschaft weiß sind: Es ist eine Liebeserklärung an die Bürokratie, an die vielen Papierstapel, die jeder wohl oder (eher) übel erleiden muss.
3. Manchmal sind völlig irrationale Entscheidungen gerechtfertigt und man muss sich einfach trauen, die eigenen mühevoll geschmiedeten Pläne zu durchkreuzen. Flexibilität wird immerhin zunehmend geschätzt! Ist man wirklich überzeugt, dass die Entscheidung die richtige ist, wird das Ganze zwar kaum weniger aufregend/ erschreckend, aber es ist auch noch nie jemand innerhalb seiner Komfortzone nennenswert persönlich und charakterlich gewachsen. Wer bereit ist, im Fall der Fälle den Sprung ins Ungewisse zu wagen, wird keinesfalls enttäuscht: Dem Mut zur Lücke folgen spannende Erfahrungen, die das Leben unendlich bereichern und erfüllen.
Weiter geht es im nächsten Teil in ein paar Wochen! Seid gespannt auf mehr Organisationsodyssee und mehr Schwedenbilder!